Artikel aus FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 07.09.18


Das Schammatdorf in Trier war eines der ersten kooperativen Wohnprojekte in Deutschland. Die Nachfrage nach Wohnungen ist groß wie nie. Weil immer mehr ältere Menschen Halt suchen und Geborgenheit im Alter.
Schammatdorf Von Bernd Freytag

TRIER, 6. September. Anja Loch hat eine ganze Menge zu regeln. Auch wenn sie nur die "kleine Bürgermeisterin" genannt wird und ihr Dorf eigentlich auch gar kein richtiges Dorf ist. Die 260 Bewohner in ihren elf "Höfen" sind nämlich keine normalen Bewohner und das liegt am wenigsten daran dass einige von ihnen körperlich oder geistig beeinträchtigt sind. Und es liegt auch nicht daran, dass die rheinlandpfälzische Ministerpräsidentin MaIu Dreyer dort lebt. Es liegt an der Einstellung der Dörfler, am Willen, sich gegenseitig zu helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das ist anstrengend.

Wer ins Schammaldorf nach Trier zieht, der Will etwas bewegen, Das "Dorfzentrum" ist denn auch Woche für Woche ausgebucht: die Koordinierungsgruppe Singspiel trifft sich, die Square Dance Gruppe Porta Nigra Zoomers, die Gruppe der an Multiple Sklerose Erkrankten. Den Free-your-stuff-Markt gilt es vorzubereiten, dazwischen muss Loch auf die öffentliche Vorstandssitzung, am Samstag ist Pfarrfest in St. Matthias. Dazu gilt es den „Engagement-Tag" mit der Bitburger Braugruppe und einem Maler zu organisieren, die offene Spielgrupp, die Wohneigentümerversammlung, den Nachbarschaftskaffee Freitag, der Kioskabschluss wartet auch noch. Und ja, dazwischen muss sich Anja Loch um die Probleme der Bewohner kümmern und um die neuen Bewerber, die auch gerne in „ihrem" Dorf leben wollen.

Und das sind immer mehr. Das Schammatdort, eines der ersten kooperativen Wohnprojekte in Deutschland, ist gefragt. 80 bis 100 Anfragen bekämen sie jedes Jahr. aber im Schnitt würden nur fünf Wohnungen frei. Die Überalterung der Gesellschaft, der Verlust der Großfamilie machten sich immer stärker bemerkbar. Menschen suchen Halt, eine intakte Umgebung. Zuspruch im Alter. Vor allem Ältere seien es, die sich für das Schammatdorf bewerben, sagt Loch. Und das ist wohl oder übel ein Problem. Das Dorf wurde schließlich einst als partizipatorisches Projekt gegründet, „generationsübergreifend, multikulturell und sozioökonomisch gemischt", also mit dem Ziel, Familien, Alten, Alleinstehenden, Menschen mit Behinderungen, Armen und Bessergestellten gleichermaßen eine Heimat zu geben. Jetzt bewerben sich überdurchschnittlich viele ältere Menschen. "Wir können die gesellschaftlichen Veränderungen aber nicht abdecken", sagt Norbert Hellenthal. Er ist Vorsitzender des 1984 gegründeten Schammatdorf Nachbarschaftsvereins und eine weitere wichtige Stütze im Dorfkosmos.
Schammatdorf von oben
Dass das Zusammenspiel nach vielen Jahren immer noch klappt, liegt nach Lochs und Hellenthals Worten an der ausgeklügelten Struktur, der gewachsenen Arbeitsteilung sozusagen. Schon zu Beginn habe es zwei starke Schultern gegeben. Die Benediktinerabtei St. Matthias hat der Stadt Grundstücke per Erbpacht zur Verfügung gestellt - daher stammt auch der Name Schammat, von „les champs" , den Feldern von St. Matthias. Die Wohnungsbaugesellschaft GBT, damals noch voll in städtischer Hand, hat die Wohnungen finanziert und gebaut.

Bis heute gilt: Die Abtei bezahlt eine pädagogische Fachkraft als "kleinen Bürgermeister". Die GBT, heute mehrheitlich in der Hand der Provinzial Versicherung, kümmert sich um Bau und Instandhaltung. Der Verein wiederum kümmert sich um das Zusammenleben. Neue Bewerber etwa werden von Loch und der Abtei nach Vorgesprächen mit Bewohnern und Hofsprechern ausgesucht und der GBT vorgeschlagen. Bei vielen neuen Projekten in Deutschland würde der Verein die Mieter aussuchen und die Instandhaltung organisieren, das berge eine Menge Konfliktpotential, sagt Loch. Neugründungen seien schwierig, das erfahre sie von den vielen Interessenten, die im Schammatdorf Rat suchen. In Trier habe von Anfang vieles gepasst: stadtnahe Grundstücke, Bauherr, Finanzierung.

Mitte der siebziger Jahre geplant, sind im Laufe der Zeit 140 Wohnungen entstanden. Von der 50 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Küche-Bad-Bleibe bis zu fünf Zimmern auf 128 Quadratmetern. 44 rollstuhlgerechte Wohnungen gibt es, in allen elf Höfen und im Dorfzentrum stehen Aufzüge zur Verfügung. 30 Prozent der Bewohner sind körperlich oder geistig eingeschränkt. Und in jedem Hof gibt es ein "Frühwarnsystem". Benötigt jemand Hilfe, dann klingelt es zuerst im Hof. Ansonsten kümmere sich jeder im Dorf selbst um seine Betreuung, sagt Loch.

Weil der Bau der Wohnungen mit damals noch existenten Mitteln des sozialen Wohnungsbaus bezuschusst wurde, benötigt eigentlich jeder Bewohner einen Wohnberechtigungsschein. Das aber laufe der Idee einer Mischung zwischen starken und schwachen Schultern zuwider, sagt Loch. In jedem Fall müsse man deshalb von der Stadt eine Befreiung beantragen, das aber werde angesichts der auch in Trier stark gestiegenen Mieten immer schwieriger. Auch das Konzept der reinen Miete haben die Betreiber im Verlauf der Jahre angepasst, um junge Familien zu halten, die sich zur Absicherung im Alter Eigentum anschaffen wollten. 40 Wohnungen seien deshalb an ehemalige Mieter verkauft worden, mehr sollen es nach Lochs Worten auch nicht mehr werden.

Die Fluktuation ist gering. „Einmal Schammatdorf, immer Schammatdorf", sagt der Vereinsvorsitzende Hellenthal. Wer anonym bleiben wolle, sei hier nicht richtig. „Nebeneinander wohnen, miteinander leben, füreinander dasein." Soziale Fürsorge sei das, keine soziale Kontrolle. Jeder habe seine Rückzugsräume, aber die Gemeinschaft und Engagement seien wichtig. So wirbt „Klaus" in der aktuellen Ausgabe des Dorfboten für ein Teilen von Lebensmitteln. Er hat einen Platz festgelegt. Wer. will, könne dort nicht benötigte Lebensmittel hinstellen oder abholen. „Ihr seid herzlich willkommen, euch zu bedienen. Einfach mit einer Tasche kommen und abholen." Klaus ist Klaus Jensen, früher Bürgermeister von Trier, der mit seiner Frau Malu Dreyer auch im Schammatdorf lebt. „Der Klaus hat schon hier gewohnt, da war er noch gar kein Bürgermeister", sagt Hellenthal. Das Schammatdorf ist eben doch ein Dorf, man duzt sich. Und „alle begegnen sich auf Augenhöhe", sagt Hellenthal. Dieser Nachsatz ist ihm wichtig.

Die Nachfrage ist groß, mehr Platz aber steht nicht zur Verfügung. Eine Erweiterung wird es wohl nicht geben. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Sonst könnte das Konzept ausufern, aus dem Dorf sozusagen eine Stadt werden, die Anonymität wachsen. „Mit 1000 Wohnungen", sagt Hellenthal, „wäre das nicht mehr lebbar."
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